Die Morgentröte
Schallend ruft die Morgentröte zum Anbeginn des Tages und heißt die Sonne mit ihren Strahlen, die die Erde kitzeln, willkommen.
Weit auf, droben auf dem hohen Berg wurzelt eine einzige junge Birke, in dessen Astgabeln die Morgentröte liegt. Dort oben pfeift ein schneidender Wind, der sie immer zur rechten Zeit zu spielen weiß. Ihr Ton ist grell aber weich, eisgläsern und tiefensamtig. Ihre Melodie ist die von sich öffnenden Blüten und erwachenden Rotkehlchen. Wolkengleich schwebt ihr Klang morgens in das Tal hinunter auf dass sie herabblickt.
Das Instrument ist fragil und bescheiden, mattes Metall, das unseren Fingern nicht die Wärme entzieht sobald wir es berühren, sondern in unseren Händen liegt wie warmes Holz. Und doch glänzt es in der Glut der Dämmerung kupfern, verschleiert so seine Messingnatur.

Einst wurde es geschmiedet, war Menschens Werk. Glitzerte metallisch unter künstlichem Licht. Aber es litt der Menschen Unfähigkeit, ihm Lieder zu entlocken, bis sie es, als schadhaft erachtend, in den Fluss warfen.
Es wurde in der Flut von Gestein und Sand geschliffen, wie es nun sein Äußeres besitzt. Die Strömung trieb es, fragt nicht wie, bis an die Zugspitze, wo es über einem Birkensamen dort zum Stillstend kam. Der Baum wuchs und gedeihte, trug schon bald die Morgentröte weiter hinauf. Bald begann der Wind, der bisher einzige Könner, mit dem Spiel auf ihr. Seitdem sang sie jeden Morgen von des kommenden Tages Schönheit.

Kein Mensch dort unten im Tal würde je im Stande sein, dieses Lied so zu spielen. Und sie schweigen, während der Morgen anbricht und gedenken ihrer eigenen Winzigkeit und lauschen dem Gesang der Morgentröte.

7.3.14

[Inspiration durch ein Wortspiel einer nicht allzu fremden Seele ;)]